Zur Kontroverse um den Artikel von Felix Hau „Rudolf Steiner - Eingeweihter, Lebemann, Priester" (info 3, Mai 2005)
1. In der aktuellen Hauptsache geht es nämlich darum, dass Hau in dem genannten Artikel die Wahrhaftigkeit und moralische Integrität Rudolf Steiners in zentralen Fragen der Anthroposophie der Sache nach verneint, auch wenn er das Wort Lügner nicht ausdrücklich gebraucht. Heisterkamp beruft sich wohl zu Recht darauf, dass man in info 3 nicht wörtlich nachweisen kann, Rudolf Steiner werde da als Lügner bezeichnet. Die Formulierung Heisterkamps zeigt, dass ihm sein sophistisches Wortspiel wohl bewusst ist. Denn in dem Artikel von Hau wird mit Vermeidung der Worte Lügner und Lüge für wesentliche Äußerungen Rudolf Steiners der Sachverhalt der Lüge behauptet. Hau behauptet nämlich, Rudolf Steiner habe die Begegnung mit dem Meister frei erfunden (S. 29). Demnach wäre Rudolf Steiner ein Lügner hinsichtlich dieser für seinen Einweihungsweg wesentlichen Begegnung. Wer das nicht schon als absurden Gedanken abweisen will aufgrund der Bedeutung der Wahrhaftigkeit für jeden Geistesschüler, geschweige denn für den Eingeweihten, der lese nach, wie Friedrich Rittelmeyer als immer kritisch-aufmerksamer Beobachter bezeugt, mit welchem Ernste Rudolf Steiner über seine Begegnungen mit den Geistesführern gesprochen hat (Friedrich Rittelmeyer, Meine Lebensbegnung mit Rudolf Steiner, Stuttgart 1963, S. 77-78).- Des weiteren wird in der Form der Frage die „gewagte Idee" formuliert, dass Rudolf Steiner das nächtliche Geist-Erlebnis des Neuzehnjährigen, das zu einer ideellen Neuorientierung führte, später „das Gestandenhaben vor dem Mysterium von Golgatha" genannt haben könnte. Das klingt zunächst relativ harmlos. Doch einen Bezug darauf stellt Hau in These 10 seines Artikels her (S. 31): „10. Steiner hat vor diesem - äußerlichen -Hintergrund [der theosophischen Gesellschaft] nicht nur seine Ideen anschaulich in religiöse Begriffe gekleidet und das Christentum als denjenigen kulturellen Rahmen gewählt, in dem er, um seinem Publikum gerecht zu werden, diese Anschauungen vortragen wollte, sondern auch begonnen, seine eigene Biographie zu mystifizieren und sein Frühwerk bzw. seine Lebensphasen vor der theosophischen Zeit entsprechend zu interpretieren. Daraus resultiert nicht nur die Geschichte, die er Schuré vermutlich über seine Einweihung erzählt hat, sondern auch die sattsam bekannten Änderungen und Zusätze, die er beispielsweise der Philosophie der Freiheit bei deren Neuauflage einverleibt hat und noch einiges anderes mehr (siehe oben; Mysterium von Golgatha), was es heute so schwer macht, gegenüber Steiner und der Anthroposophie ein freies Verhältnis zu gewinnen - oder ein solches gar öffentlich zu formulieren."
Hau unterstellt hier - nun nicht mehr in Frageform -, dass Rudolf Steiner dem theosophischen Publikum annehmbare christliche Vorstellungen* gewählt („um seinem Publikum gerecht zu werden") und darüber hinaus begonnen habe, seine biographische Vergangenheit zu mystifizieren, d. h. umzuinterpretieren. So habe er auch das nächtliche geistige Erlebnis des Neunzehn-jährigen mystifiziert. Der Bezug wird freilich nur andeutend hergestellt durch den Hinweis: „(siehe oben; Mysterium von Golgatha)", und so kann man leicht das Gewicht dieses Aussage übersehen. Das für Rudolf Steiners geistigen Weg grundlegende Ereignis („das geistige Gestandenhaben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster ernstester Erkenntnisfeier") wird faktisch als eine Lüge bezeichnet. Denn wenn man nur vortäuscht, dass ein Ereignis stattgefunden habe, ist das für ein Wahrheitsbewusstsein, das sich an der Übereinstimmung einer Aussage mit den Tatsachen orientiert, eine Lüge. Wenn Hau so hinsichtlich des genannten Ereignisses Rudolf Steiner der Sache nach eine Lüge unterstellt, dann wird damit außer dem essentiellen Christus-Bezug Rudolf Steiners auch die Christlichkeit der Anthroposophie verneint. Tatsächlich sagt Hau denn auch: [Seine] „Annahme lautet in ihrer schlichten
http://www.equisetum.de/rudolf
„Dass Steiner sein Publikum _nicht_ "verarscht" (sic!) hat, ist nämlich auch nichts weiter als eine Annahme – und außerdem noch eine solche, die bis aufs Messer verteidigt wird; obwohl es genügend Hinweise gibt - explizite, von Steiner selbst -, die dagegen sprechen."
*Anmerkung: Tatsächlich wandte sich Rudolf Steiner auf die ganz individuelle Anfrage von Marie von Sivers hin mit seinem christlichen Auftrag an das theosophische Publikum, ohne dass ihm dabei eine allgemeine Erwartung entgegengekommen wäre.
2. Heisterkamp verwahrt sich weiter dagegen, dass in info 3 die Anthroposophie als Erfindung
oder Fiktion betrachtet werde. Bleiben wir bei der aktuellen Hauptsache, dem genannten Artikel. Felix Hau schreibt darin (S. 30): „Gänzlich überzeugt bin ich übrigens davon, dass Steiners Ansichten auch vor der Jahrhundertwende in oft krassem Gegensatz zu denjenigen seiner damaligen Literaten-, Philosophen- und Künstler-Kumpanei standen. Das lag aber nicht etwa daran, dass er „schon damals" Engelhierarchien, zwei Jesusknaben, Ätherleiber und soratische Mächte als Anschauungen in sich trug - meiner Ansicht nach trug er solche Anschauungen zu keinem Zeitpunkt in sich, sondern drückte, was er auch damals schon als Ideen in sich trug, einerseits lediglich später auf diese bestimmte Art aus und fand andererseits neue Gebiete vor (vor allem das Gebiet der christlichen Esoterik), die er auf der Grundlage seiner Auffassungen dann bearbeitete-, sondern schlicht daran, dass er weiter dachte, als die meisten anderen, dass er in den
In diesen gewundenen, kaum verkürzt zitierbaren Formulierungen ist viel enthalten, auf jeden Fall aber die Aussage, Rudolf Steiner habe zu keinem Zeitpunkt Anschauungen von Engelhierarchien, zwei Jesusknaben, Ätherleibern und soratischen Mächten in sich getragen, sondern habe nur seine Ideen in dieser Form ausgesprochen. Er „dachte" eben weiter als die anderen. Man muss einmal bedenken, was damit gesagt ist. Das bedeutet, dass Rudolf Steiner nicht einmal die Stufe der Ätherwahrnehmung, geschweige denn die Stufen der Inspiration und Intuition erreicht hätte. Demnach wären die Wahrnehmung übersinnlicher Wesensglieder, der Weltentstehung, der geistigen Wesenheiten (außer dem unbestimmten Allgeist von Hau, dazu unten), die übersinnlichen Erlebnisse auf dem Schulungswege und die Vollendung in der Einweihung, ein nur hypothetisches oder erlogenes Gebilde, reine Fiktion eigener Erlebnisse - was Heisterkamp ja als Implikation der Hau’schen Auslassung nicht wahrhaben will. Wie kommt Hau zu dieser Auffassung? Auf der Grundlage von Hau’s Behauptungen ist es zunächst naheliegend anzunehmen, dass das nächtliche Erlebnis (10./11. Januar 1881) Rudolf Steiners sich nur auf der Ebene der Ideen vollzogen hätte, wenn nämlich nach Hau Rudolf Steiner auch später nur über Ideen verfügt hätte und nicht zur übersinnlichen Wahrnehmung geistiger Wesenheiten gelangt wäre. Doch Hau lehnt eine solche Deutung entschieden ab (http://www.info3.de/ycms/blogs
3. Heisterkamp nennt die Ansicht Steierts, info 3 vertrete eine unchristliche Anthroposophie, „eine auf Abwehrreflexe zielende Simplifizierung." Er setzt dagegen: „ Zutreffend ist vielmehr, dass es unserer Zeitschrift um eine trans-christliche Anthroposophie zu tun ist und dass wir die konfessionellen Verhaftungen, die diesen Impuls faktisch einengen, kritisch hinterfragen möchten" (Internet: http://www.info3.de/ycms
Internet: http://www.info3.de/ycms
Die Gesprächspartner entwickeln die Auffassung, dass nicht menschliche Individualitäten sich reinkarnieren, da es sie gar nicht gebe, sondern dass sich allein der Allgeist immer neu inkarniere - dabei jeweils bei karmisch bedingten Umwelten (und Leiblichkeiten) ansetzend. Hau lässt dabei anklingen, seine Negation der menschlichen Individualitäten zugunsten des Allgeistes beruhe auf seiner persönlichen Erfahrung, sich erheben zu können vom raum-zeitlichen Bewusstsein zum geistigen Bewusstsein des unterschiedslosen ewigen Seins. Von daher ist mir begreiflich: Wenn man ein solches Erlebnis nach Form und Inhalt für die einzige oder höchste Einweihung hält, dann zerstiebt natürlich alle Erzählung von Individualitäten menschlicher oder hierarchischer Art in ein Nichts. Hau muss in dem genannten Gespräch allerdings zugeben, dass Rudolf Steiner durchweg von der Reinkarnation von menschlichen Individualitäten redet und nicht - mit meinen Worten - von karmischen Wirkungskomplexen, an denen der Allgeist durch Reinkarnation immer neu anzusetzen habe. Als einzige Ausnahme meint er eine Stelle in der letzten Ansprache (GA 238, 28.9.1924)zu erkennen. Doch seine Interpretation wider-spricht deutlich dem Sinnzusammenhang des ganzen Vortrags. Am Ende sagt Rudolf Steiner deutlich, dass seine anthroposophischen Zuhörer nach dem Tode auch dem Wesen begegnen werden, von dem er „heute" gesprochen habe. Das bezieht sich auf das Wesen oder die Wesenheit, die sich als Elias, Johannes der Täufer, Raffael und Novalis inkarniert hat. Das heißt unzweideutig, dass dieses Wesen sich nicht nachtodlich in den Allgeist aufgelöst habe. Und so muss man die fragliche Stelle, die dem Hinweis auf diese vier Inkarnationen unmittelbar vorangeht, in diesem Sinne verstehen: Rudolf Steiner spricht von Wesenheiten, die zumindest mit zwei aufeinander folgenden Inkarnationen auf einen Großen Teil der Menschheit Eindruck machen und ergänzt dann: „Wesenheiten, die sich aber erst für uns, indem wir sie erkennen als die aufeinanderfolgende Inkarnation einer Wesenheit, zu einem Einheitlichen zusammenschließen." Das heißt: Durch den Erkenntnisakt wird die Identität der Individualität in den verschiedenen Inkarnationen nicht dem Sein nach geschaffen, sondern nur in das Bewusstsein hereingenommen. Eine andere ontologische Bedeutung hat der Erkenntnisakt im Sinne der Philosophie der Freiheit, wenn dort der denkende Mensch seiner Selbstwahrnehmung begründet den Begriff der freien Persönlichkeit zuspricht und damit deren Sein erst vollendet. Das scheint Hau zu verwechseln. Die subjektive Erfahrung und Bewertung eines Allgeistes, die Hau im Jahre 2000 zur Negation einer durchgehenden menschlichen Individualität in verschiedenen Inkarnationen verleitet, lässt ihn im Jahre 2005 auch die Inkarnation des makrokosmischen Ich in Jesus Christus verneinen und damit auch das Mysterium von Golgatha als Mittelpunktsereignis der Menschheitsent-wicklung im Sinne Steiners bestreiten:
„Der Mittelpunkt der kosmischen Evolution ist in jedem Fall _jetzt_ - und im einordnenden historischen Rückblick immer dann, wenn wieder ein Mikrokosmos sich selbst vernichtet, um zum Makrokosmos "aufzusteigen". Das passiert ständig, überall auf der Welt - und es passierte auch schon ante Jesum." Diese Äußerung ist besser in dem Hau’schen Gedankenzusammenhang zu verstehen, demzufolge es keine makrokosmische Entwicklung gibt, nur eine Entwicklung der Mikrokosmen, die sich, über Bewusstseinsstufen aufsteigend, aus dem Werden zum Sein des Makrokosmos erheben. Seine zugegeben muslimische Deutung des Jesus Christus und sein averroistisches Verständnis der menschlichen Individualität sieht Hau auch gerechtfertigt vor dem Hintergrund traditioneller Esoterik und Religion.
(www.equisetum.de/rudolf
Seine Grundposition führt Hau notwendig zur Ablehnung einer christlichen Anthroposophie. Er versteht sich anscheinend als Entmythologisierer in umgekehrter Richtung, der nun nicht den Jesus Christus auf die irdisch-menschliche Dimension reduziert, sondern zugunsten des Allgeistes das Geheimnis der inkarnierten menschlichen Individualität und das Geheimnis der Vermittlung zwischen Menschen-Ich und Welten-Ich und das Mysterium der Auferstehung für Menschheit und Erde verduften lässt. Vordergründig orientiert sich seine Kritik auch daran, dass Rudolf Steiner vor der Jahrhundertwende vorwiegend nicht Positionen vertreten hat, die sich zu Jesus Christus als der Verkörperung des Logos bekennen - wie es dann dezidiert nach der Jahrhundertwende geschah aufgrund eigener Forschung und im Einklang mit der Aussage des Johannes-Evangeliums: Das Wort ist Fleisch geworden (ho logos sarx egeneto).
Rudolf Steiners Verhältnis zum Christentum vor der Jahrhundertwende ist nach seinen Äußerungen im Lebensgang (Kap. XXVI) einzuordnen und auch nach einer Stelle bei Rittelmeyer (a. a. O. S. 63): „Haben Sie denn", fragte ich damals [1916] einmal, „immer so über Christus gedacht, wie Sie heute denken, auch in Ihrer naturwissenschaftlichen Zeit?" „Ich erinnere mich", gab er [Rudolf Steiner] zur Antwort, „daß ich schon in der Mitte meiner zwanziger Jahre in einem Gespräch über Christus so sprach. Dann ist das allerdings vorübergehend zurückgetreten. Ich musste durch alles hindurch. Es war eine karmische Notwendigkeit."
4. Wer den essentiellen Bezug Rudolf Steiners und der Anthroposophie zu Jesus Christus als der Inkarnation des Logos bestreitet und dennoch die Anthroposophie zu vertreten beansprucht, der will anthroposophische Inhalte dem christlichen Wesen der Anthroposophie Rudolf Steiners entfremden. Der Inhalt einer „trans-christlichen Anthroposophie"
(Heisterkamp im Internet: http://www.info3.de/ycms
müsste dann offen dargestellt werden - gerade in seinem kritischen Bezug zur Anthroposophie Rudolf Steiners. Auf diesen kritischen Bezug scheint ja der von Heisterkamp gebilligte Artikel von Hau hinzuweisen. Doch die hinterhältig-verschleiernde Darstellungsart von Felix Hau hat in einem wissenschaftlichen Diskurs nichts zu suchen. Man könnte ja über den wissenschaftlich unbedeutenden Artikel von Hau hinwegsehen, wenn er nicht in der Monatsschrift „info 3 - Anthroposophie heute" veröffentlicht und im Internet nun verteidigt würde: http://www.info3.de/ycms
Der Chefredakteur Dr. Jens Heisterkamp sollte, was die Rufschädigung von info 3 betrifft, bedenken, dass er selber sie betreibt, wenn er mit seiner Autorität Hau’s Angriff auf die Glaubwürdigkeit Rudolf Steiners und die Christlichkeit der Anthroposophie abschirmt und Felix Hau in info 3 weiterhin wirken lässt.
Dr. Horst Peters
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